Warum sich Investitionen nicht mehr lohnen

Die strukturelle Blockade eines Systems, das sich selbst entkoppelt hat – und nicht mehr zurück kann.

Warum sich Investitionen nicht mehr lohnen

Investitionen bleiben aus – und das schon seit Jahren.
Trotz niedriger Zinsen, hoher Unternehmensgewinne und staatlicher Programme investieren viele Unternehmen kaum noch in produktives Kapital. Die gängige Erklärung lautet: Es fehlt an Nachfrage, an Planungssicherheit, an staatlichen Impulsen. Und so wird mit zunehmender Vehemenz gefordert, der Staat müsse mehr investieren, müsse "den Markt anregen".

Doch was, wenn genau das nicht mehr funktioniert?
Was, wenn der Rückgang der Investitionen kein vorübergehendes Problem, sondern das Ergebnis eines systemischen Bruchs ist – einer strukturellen Schieflage, die sich nicht einfach durch mehr Geld korrigieren lässt?

Dieser Artikel vertritt die These, dass die Wirtschaft in einer Investitionsfalle stecken könnte, die sich nicht mit klassischen Mitteln beheben lässt. Der Anreiz zu investieren ist aus zwei Gründen verschwunden: Erstens bleibt die Nachfrage aufgrund stagnierender Löhne dauerhaft schwach. Zweitens lohnt sich der Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschinen kaum noch – weil die Löhne so niedrig sind, dass sich Rationalisierung nicht mehr rechnet. Wenn aber weder Nachfrage- noch Kosteneinsparungsargumente greifen, verliert Investition ihre wirtschaftliche Grundlage.

Paradoxerweise führt genau diese Situation zu einem verstärkten Ruf vieler Ökonomen nach noch mehr „Wettbewerbsfähigkeit“ – was meist nichts anderes bedeutet als weitere Lohnsenkung und Deregulierung. Doch diese „Lösungen“ verschärfen die Krise, statt sie zu lösen. Denn je niedriger die Löhne, desto weniger Nachfrage – und desto weniger rentieren sich Investitionen.

So droht eine wirtschaftliche Sackgasse: Eine Politik, die das System retten will, riskiert es zu zerstören. Und eine Politik, die es bewahren will, verhindert seine Erneuerung.

Der klassische Wachstumsmechanismus – und sein Zusammenbruch

Investitionen in Kapital – also in Maschinen, Technologien und Produktionsmittel – folgen in der Marktwirtschaft einer klaren betriebswirtschaftlichen Logik:

Sie lohnen sich nur, wenn dadurch Arbeit eingespart werden kann – konkret: Lohnkosten pro Produktionseinheit sinken.

Die Rendite einer Investition ist damit direkt an die Ersparnis an bezahlter Arbeitszeit gekoppelt. Je höher der Lohn pro Stunde, desto größer das Einsparpotenzial durch Automatisierung, Rationalisierung oder neue Technologien – und desto höher der Anreiz zu investieren.

Diese Beziehung ist der eigentliche Motor kapitalistischer Entwicklung:

  • Steigende Löhne setzen Unternehmen unter Druck, effizienter zu wirtschaften.
  • Daraus entstehen Investitionen in produktivitätssteigerndes Kapital.
  • Die gestiegene Produktivität wiederum ermöglicht höhere Löhne, ohne die Preise zu erhöhen.
  • Die gestiegenen Löhne dienen wiederum als Anreiz für Investitionen

Hinzu kommt, dass es gerade im Hinblick auf die Binnenwirtschaft einen zweiten Effekt gibt: Durch höhere Löhne steigt die Kaufkraft und damit die Nachfrage. Das dient als weiterer Anreiz für zusätzliche Investitionen – etwa durch Kapazitätsausweitung.

Diese Struktur wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten systematisch untergraben. Seit den 1990er Jahren haben viele Länder – besonders Deutschland – die Löhne real gedrückt oder zumindest von der Produktivitätsentwicklung abgekoppelt. Damit wurde der zentrale Anreiz zur Investition abgeschaltet:

  • Wo Löhne niedrig sind, lohnt es sich nicht, Maschinen statt Menschen einzusetzen.
  • Statt in Effizienz wird in billige Arbeit investiert – oder gar nicht.

Der Rationalisierungsdruck entfällt, der Kapitalstock stagniert, der technische Fortschritt verlangsamt sich – und damit auch die Produktivität. Das betrifft nicht nur einzelne Branchen, sondern die gesamtwirtschaftliche Dynamik: Ein Wirtschaftssystem, das steigende Löhne systematisch unterbindet, kappt sich selbst vom Investitionsimpuls ab, der seinen Fortschritt bisher getragen hat.

Die Entkopplung: Produktivität steigt, Löhne nicht

Die zentrale Störung im Investitionsmechanismus, wie wir ihn beschrieben haben, begann nicht zufällig, sondern war das Ergebnis einer bewussten politischen Strategie – vor allem ab den 1990er Jahren. In vielen entwickelten Volkswirtschaften, insbesondere in Deutschland, wurde die Lohnentwicklung von der Produktivitätsentwicklung systematisch abgekoppelt.

Während die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weiter stieg – gemessen in Produktivität pro Arbeitsstunde – verharrten die Reallöhne entweder auf einem Plateau oder stiegen deutlich langsamer. Die sogenannte Lohnquote, also der Anteil der Einkommen aus Arbeit am Volkseinkommen, fiel über Jahrzehnte.

In Deutschland wurde diese Entwicklung durch mehrere Faktoren beschleunigt:

  • Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte, insbesondere durch die Agenda-Reformen in den 2000er Jahren,
  • der Rückgang der Tarifbindung und die Schwächung der Gewerkschaften,
  • der anhaltende politische Konsens, Wettbewerbsfähigkeit über niedrige Lohnkosten zu definieren
  • und die staatlich tolerierte oder sogar geförderte Lohnzurückhaltung in den Flächentarifverträgen.

Das Ergebnis: Obwohl die Beschäftigten - zumindest immer noch in geringerem Maße - produktiver wurden, beteiligte man sie immer weniger an der Wertschöpfung.

Diese Entkopplung hatte unmittelbare Rückwirkungen auf den Investitionsprozess:

  • Weil die Löhne nicht mehr stiegen, entfiel der Anreiz, Arbeit durch Kapital zu ersetzen.
  • Rationalisierungsdruck verwandelte sich in Kostenruhe – die vermeintlich „wettbewerbsfähige“ Wirtschaft verlor ihre Dynamik.
  • Gleichzeitig stagnierte die Binnennachfrage, was den sekundären Anreiz für Investitionen – den Absatz – ebenfalls schwächte.

Die Unternehmen reagierten rational im betriebswirtschaftlichen Sinne: Wenn es billiger ist, mit Menschen als mit Maschinen zu produzieren, dann wird nicht investiert. Kapital wird zurückgehalten oder in den Finanzmarkt umgeleitet, etwa durch Aktienrückkäufe. Investitionen, sofern sie überhaupt stattfinden, dienen eher der internationalen Standortverlagerung oder dem Finanzanlageverhalten als dem Ausbau der inländischen Produktivitätsbasis.

So wurde aus einer scheinbaren Wettbewerbspolitik eine Strategie der Selbstlähmung. Die Produktivität stieg zwar weiter – aber auf schmalerer Basis, mit sinkender Dynamik und immer geringerer Breitenwirkung. Die Löhne stagnierten, die Investitionen fielen zurück, der Kapitalstock alterte – und der zentrale Investitionsmechanismus verlor seinen inneren Antrieb.

Der Tod des Investitionsanreizes

Die Investitionstätigkeit ist nicht eingebrochen, weil kein Kapital vorhanden wäre. Im Gegenteil: Viele Unternehmen verfügen über erhebliche Rücklagen. Die Zinsen sind immer noch verhältnismäßig niedrig, staatliche Förderprogramme vorhanden. Und dennoch: Die Investitionen in produktivitätssteigerndes Kapital bleiben auf einem historisch niedrigen Niveau.

Der Grund dafür ist ebenso einfach wie tiefgreifend:

Es rechnet sich nicht mehr.

Der zentrale Anreiz, in Kapital zu investieren – nämlich bezahlte Arbeitszeit einzusparen – ist weitgehend entfallen. Die Löhne sind über Jahre künstlich niedrig gehalten worden. Dadurch wurde auch der Druck zur Rationalisierung beseitigt. Wo Arbeitskraft billig ist, lohnt es sich schlicht nicht, sie durch Maschinen zu ersetzen. Und wenn keine Einsparung möglich ist, gibt es auch keinen Renditepfad, der Investitionen rechtfertigt.

Damit steht das System vor einem paradoxe Zustand:

  • Unternehmen sitzen auf Kapital,
  • Investitionen wären technisch möglich,
  • aber sie sind betriebswirtschaftlich unattraktiv.

Selbst staatliche Investitionsprogramme oder öffentliche Nachfrageänderungen können diesen Zustand nur bedingt durchbrechen. Denn wenn der Kapitalstock einmal so groß geworden ist, dass sich zusätzliche Investitionen nicht mehr aus Ersparnissen refinanzieren lassen, entsteht eine Überakkumulation ohne Produktivitätseffekt. Neue Maschinen, Prozesse oder Technologien bringen keine zusätzlichen Einsparungen – sondern nur Kosten. Das Verhältnis von Investition zu möglichem Nutzen verschlechtert sich dauerhaft.

Das Ergebnis ist ein struktureller Investitionsstau. Unternehmen investieren nicht, obwohl sie es könnten – und gerade deshalb verschärft sich das Problem weiter:

  • Der Kapitalstock altert,
  • die Produktivität stagniert,
  • die Wettbewerbsfähigkeit schwindet,
  • der Spielraum für Lohnerhöhungen sinkt weiter.

Das System blockiert sich selbst.

Und je länger dieser Zustand anhält, desto stärker verfestigt sich die Struktur: Unternehmen gewöhnen sich an „Investitionsvermeidung“, Geschäftsmodelle richten sich auf Niedriglöhne statt auf Produktivitätsfortschritte aus. Kapital wird in Finanzanlagen oder Immobilien verschoben – nicht in irgendeine Form der Produktivitätssteigerung.

So entsteht ein Wirtschaftssystem, das sich nicht mehr über Wachstum und technische Entwicklung definiert, sondern über Stillstand mit Kapitalüberschuss. Investitionen lohnen sich nicht mehr – und deshalb wird nicht mehr investiert.

Die säkulare Stagnation ist keine Naturkatastrophe

In den letzten Jahren hat sich mit dem Begriff der säkularen Stagnation ein Deutungsrahmen etabliert, der den anhaltend schwachen Wachstumspfad vieler Industrienationen erklären soll. Prominent vertreten etwa durch Larry Summers, wird sie verstanden als langfristige Tendenz: zu wenig private Nachfrage, zu hohe Ersparnisse, zu geringe Investitionen, trotz niedriger Zinsen. Die üblichen Verdächtigen: Alterung, schwache Innovation, „sättigte Märkte“.

Doch diese Erklärung hat einen entscheidenden blinden Fleck: Sie naturalisiert eine Entwicklung, die politisch und strukturell herbeigeführt wurde.

Die Investitionsschwäche ist nicht Folge äußerer Umstände, sondern Ergebnis eines politisch gewollten Lohnkostenniveaus, das den zentralen Investitionsmechanismus zerstört hat. Die Unternehmen haben sich unter diesen Bedingungen zunehmend in eine Rolle als Nettosparer zurückgezogen: Sie investieren weniger, als sie einnehmen. Stattdessen werden Überschüsse geparkt, Aktien zurückgekauft, Finanzmärkte gefüttert.

Damit entsteht ein massives Ungleichgewicht in der volkswirtschaftlichen Geldzirkulation:

Wenn der Unternehmenssektor Geld entzieht, ohne es in reale Investitionen zurückzugeben, müssen andere Sektoren – vor allem der Staat – die Nachfrage ersetzen.

Genau das erklärt den Anstieg öffentlicher Schulden – nicht als Ausdruck unsolider Haushaltsführung, sondern als notwendige Kompensation eines unterinvestierenden Unternehmenssektors. Die Schulden des Staates spiegeln das Versagen der Wirtschaft, ihr eigenes Wachstum über Investitionen anzutreiben.

Damit wird klar:

Die säkulare Stagnation ist nicht naturgegeben, sondern eine konsequente Folge der Lohnzurückhaltung und Investitionsverweigerung im Unternehmenssektor – mit massiven politischen und fiskalischen Nebenwirkungen.

Sie ist kein Schicksal, sondern eine Entscheidung – mit einer klaren Ursache und einer potenziellen, wenn auch schmerzhaften Lösung.

Die Rettung wäre ein Risiko: Der Preis höherer Löhne

Wenn steigende Löhne der Schlüssel zum Investitionsimpuls sind, dann müsste die Lösung doch einfach sein: Erhöhen wir die Löhne, und der Rationalisierungsdruck wird wiederbelebt, Investitionen lohnen sich wieder, Produktivität steigt, Nachfrage folgt. Der alte Zyklus könnte sich wieder in Gang setzen.

Doch so einfach ist es nicht mehr. Denn ein großer Teil der heutigen Wirtschaft basiert strukturell auf der Lohnzurückhaltung der letzten Jahrzehnte. Besonders in stark internationalisierten Branchen wurden Geschäftsmodelle aufgebaut, die nur deshalb konkurrenzfähig bleiben konnten, weil die Löhne niedrig gehalten wurden. Sie sind nicht technologie-, sondern kostengetrieben – ihre Wettbewerbsfähigkeit beruht auf der Vermeidung von Lohnsteigerungen, nicht auf der aktiven Steigerung von Effizienz.

Eine Rückkehr zu funktionalen Löhnen – also solchen, die der Produktivität entsprechen – würde daher für viele dieser Geschäftsmodelle die wirtschaftliche Grundlage entziehen. Unternehmen, die sich über zwei Jahrzehnte an die günstigen Bedingungen angepasst haben, könnten mit dem neuen Kostenniveau nicht überleben. Ganze Industriesegmente – insbesondere im Export – würden unter Druck geraten.

Was als Lösung gedacht ist, bringt das System an seinen Bruchpunkt:

  • Geschäftsmodelle zerfallen,
  • Betriebe verlagern sich oder gehen ein,
  • Arbeitslosigkeit steigt kurzfristig,
  • politische Gegenreaktionen drohen.

Das Paradoxe daran: Die Reparatur des Systems erfordert seine Erschütterung. Denn nur wenn die bestehenden Geschäftsmodelle aufgegeben oder transformiert werden, kann sich eine neue Dynamik entfalten – mit neuen Investitionsanreizen, neuer Produktivität, neuen Lohnspielräumen.

Doch genau das vermeiden Politik und Wirtschaft systematisch. Statt einer echten Wende wird an Symptomen gearbeitet: Konjunkturprogramme hier, Lohnsubventionen da, steuerliche Anreize – alles, um den Status quo zu stabilisieren, nicht um ihn zu überwinden.

Deshalb bleibt die wirtschaftliche Stagnation zäh und stabil zugleich: Weil jede echte Reform das Risiko der Selbstzerstörung birgt, wird sie vermieden – und damit der Reformbedarf weiter aufgestaut.

Der strukturelle Deadlock: Wenn kein Ausweg ohne Schmerz existiert

Was wir heute erleben, ist nicht einfach ein Investitionsrückgang oder ein konjunkturelles Tief – sondern ein struktureller Stillstand. Das Wirtschaftssystem hat sich in eine Konstellation manövriert, in der es nicht vorwärts kommt, ohne sich selbst zu beschädigen. Die Investitionsmechanik ist ausgehöhlt, der Produktivitätsfortschritt stagniert, die Löhne bleiben niedrig – und jede Maßnahme, die diesen Zustand durchbrechen könnte, droht, das System kurzfristig zu destabilisieren.

Es ist ein ökonomischer Deadlock:

  • Die Löhne können nicht steigen, weil die Unternehmen nicht produktiver geworden sind.
  • Die Unternehmen investieren nicht, weil sich Investitionen bei den derzeitigen Löhnen nicht rechnen.
  • Der Staat kann die Nachfrage nicht dauerhaft tragen, weil seine Verschuldung letztlich nur das ersetzt, was der Unternehmenssektor nicht mehr leistet.
  • Eine Lohnwende würde Geschäftsmodelle gefährden, ohne dass ein nahtloser Übergang in eine neue Struktur vorbereitet ist.

Das System ist stabil – aber auf einem falschen Niveau. Es ist nicht instabil, sondern unveränderlich, solange keine Seite bereit ist, den notwendigen Strukturbruch zuzulassen. Es lebt von einer falschen Balance: zwischen zu niedriger Lohnquote, zu geringer Investitionstätigkeit und zu hoher Verschuldung anderer Sektoren.

Dieser Zustand kann sich über Jahre halten – und er tut es. Er produziert keine spektakulären Krisen, sondern eine chronische Wachstumsarmut. Er erzeugt keine plötzlichen Zusammenbrüche, sondern eine schleichende Erosion von Innovationskraft, öffentlicher Handlungsfähigkeit und politischer Gestaltungsmacht.

Denn mit jedem Jahr, in dem nicht investiert wird, altert der Kapitalstock weiter. Mit jeder verpassten Produktivitätssteigerung sinkt der zukünftige Spielraum für Löhne. Und mit jeder neuen Runde öffentlicher Verschuldung wächst die politische Angriffsfläche für Sparmaßnahmen – die den Stillstand weiter verstärken.

Der Weg hinaus ist möglich – aber nicht schmerzfrei. Jede ernsthafte Reform müsste bereit sein, bestehende Geschäftsmodelle, Besitzstände und Erwartungen infrage zu stellen. Sie müsste zulassen, dass alte Strukturen wegbrechen, damit neue entstehen können. Doch genau diese Bereitschaft ist derzeit politisch nicht vorhanden – und wirtschaftlich nur vereinzelt zu erkennen.

So bleibt das System in sich selbst gefangen: Ein Stillstand, der sich nicht selbst lösen kann.

Was wäre zu tun? Zwei unbequeme Pfade

Wenn der Investitionsmechanismus dauerhaft blockiert ist, weil Löhne zu niedrig und Geschäftsmodelle auf eben dieser Schwäche aufgebaut sind, dann gibt es keine einfache Reparatur. Die Wiederherstellung einer funktionalen Wachstumsspirale erfordert nicht weniger als eine strukturelle Neuausrichtung – und diese ist mit tiefgreifenden ökonomischen und politischen Kosten verbunden.

Es bleiben im Kern zwei strategische Pfade – beide unbequem, aber alternativlos, wenn das System wieder ins Gleichgewicht kommen soll.

Pfad 1: Strukturbruch durch Lohnwende – mit offenem Ausgang

Die erste Möglichkeit besteht darin, den Anreiz zur Investition wiederherzustellen, indem man die zentrale Störung an der Wurzel packt: die zu niedrigen Löhne.
Das bedeutet:

  • Löhne müssen steigen, auch wenn das zunächst bestehende Geschäftsmodelle überfordert.
  • Dadurch entsteht Rationalisierungsdruck, der Investitionen wirtschaftlich sinnvoll macht.
  • Auf Sicht fördert dies Produktivität, technologische Erneuerung und neue Dynamik.

Aber: Dieser Weg führt nicht ohne Friktionen zum Ziel. Vielmehr muss akzeptiert werden, dass dabei:

  • Unternehmen scheitern werden, die sich an Niedriglöhne gewöhnt haben,
  • Arbeitsplätze verloren gehen können, bevor neue entstehen,
  • Übergangsphasen mit Instabilität und gesellschaftlichen Spannungen unvermeidlich sind.

Es wäre eine Art kreativer Zerstörung – bewusst eingeleitet, begleitet durch staatliche Industriepolitik, Investitionslenkung, Umschulungsprogramme und sozialen Ausgleich. Ohne diese Flankierung wäre der Bruch wahrscheinlich politisch nicht durchzuhalten. Aber ohne Bruch kein Neustart.

Pfad 2: Koordinierte Reorganisation – unter großem Steuerungsaufwand

Die zweite Option wäre ein koordinierter Umbau, der versucht, die Blockaden schrittweise zu lösen, ohne das System abrupt zu erschüttern.

Das hieße konkret:

  • Gezielte Lohnerhöhungen in nicht-exportorientierten Sektoren, um Nachfrage zu stärken, ohne die Exportindustrie zu gefährden,
  • Staatlich gelenkte Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Energie und Technologie, um neue private Investitionsfelder zu öffnen,
  • Eine aktive Lohn- und Einkommenspolitik, etwa durch Mindestlöhne, Re-Tarifierung und steuerliche Umverteilung,
  • Eine Industriepolitik, die Übergänge begleitet: Förderprogramme für Technologiewechsel, Innovationsprämien, Investitionsanreize mit Produktivitätskriterien.

Dieser Weg wäre weniger riskant, aber auch langsamer und komplexer. Er setzt institutionelle Steuerungsfähigkeit voraus, die in vielen Ländern derzeit fehlt – ebenso wie den politischen Willen, Konflikte nicht zu vermeiden, sondern zu managen.

Und: Auch hier müssten Geschäftsmodelle letztlich transformiert werden. Der Unterschied liegt im Tempo und in der politischen Kontrolle des Übergangs.

In beiden Fällen gilt: Ohne Eingriff kein Ausweg

Beide Wege erfordern das Eingeständnis, dass sich die aktuelle Situation nicht von selbst behebt. Der Markt wird das Investitionsproblem nicht lösen, solange der Anreiz fehlt. Und der Staat kann nicht ewig mit Schulden kompensieren, was strukturell verhindert wird.

Deshalb ist klar:

Der Preis für Veränderung ist hoch – aber der Preis des Stillstands ist höher.

Fazit: Ein System, das sich selbst stillgelegt hat – und stillgelegt wird

Die Investitionskrise ist kein vorübergehender Aussetzer und keine Folge äußerer Schocks. Sie ist das Ergebnis eines strukturellen Bruchs in der Funktionsweise kapitalistischer Ökonomien: Der zentrale Anreiz zur Investition – bezahlte Arbeit durch Kapital zu ersetzen – wurde außer Kraft gesetzt, weil die Löhne systematisch hinter der Produktivität zurückblieben.

In der Folge verschwanden Rationalisierungsanreize, Investitionen wurden unterlassen, Produktivität stagnierte – und mit ihr der Spielraum für weitere Lohnerhöhungen. Der klassische Wachstumskreislauf kam nicht nur ins Stocken, sondern wurde regelrecht entkoppelt. Unternehmen wurden zu Nettosparern, die mit staatlich erzeugter Nachfrage gefüttert werden müssen, um nicht in Rezessionen abzugleiten. Die Folge: eine säkulare Stagnation, die keine Naturkatastrophe ist, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen.

Diese Stagnation wird häufig als stabiler Zustand missverstanden – doch sie ist in Wahrheit brüchig. Denn während Europa und der Westen in der Selbstblockade verharren, arbeitet der Rest der Welt weiter an seiner Produktivität. In Ländern wie China ist die Innovationsspirale nicht durchbrochen. Dort wird investiert, rationalisiert, transformiert – nicht, weil Löhne niedrig sind, sondern weil der produktive Zyklus funktioniert.

Die Folge ist nicht nur ein geopolitisches Ungleichgewicht, sondern ein schleichender Wettbewerbsverlust:

Unternehmen aus Regionen mit intakter Investitionslogik drängen mit wachsender technologischer Stärke auf die Märkte – und verdrängen zunehmend westliche Anbieter, die sich zu lange auf niedrige Lohnkosten und technologische Stagnation verlassen haben.

Der Westen verliert damit nicht nur Wachstum – er verliert Zukunftsfähigkeit. Denn ein Wirtschaftssystem, das Investitionen nicht mehr durch sich selbst begründet, sondern nur noch durch staatliche Stützung oder Kostensenkung, wird auf Dauer nicht überlebensfähig sein.

Die Reform wäre möglich – aber sie ist politisch riskant, wirtschaftlich schmerzhaft und gesellschaftlich konflikthaft. Genau deshalb wird sie vermieden. Doch das bedeutet auch:

Je länger der Stillstand anhält, desto härter wird der unausweichliche Bruch.